Augsburg - Stadt der sozialen Innovation

Augsburg tut sich schwer, sich wahrnehmbar zu positionieren. Der Vorschlag: Augsburg zeigt sich als Stadt der sozialen Innovation!

Brunnen in der Fuggerei

An Profilen scheint es der Stadt Augsburg nicht zu mangeln: Mal firmiert sie als Brechtstadt, als Friedensstadt, als Mozartstadt, dann wieder als Fuggerstadt, Römerstadt, Wasserstadt, Renaissancestadt oder schlicht als Universitätsstadt. Alle Profile haben eine gewisse Berechtigung, denn sie verweisen auf eine reiche und lange Geschichte.

Man muss aber nicht Marketing studiert haben, um zu erkennen, dass sich mit so vielen unterschiedlichen „Alleinstellungsmerkmalen“ keine dauerhaft wahrnehmbare Kommunikation aufbauen lässt. Andere Städte sind da deutlich zugespitzter in ihrer Selbstdarstellung. Bei Trier denken alle sofort an die Römer, bei Kassel an Kultur und bei Rothenburg ob der Tauber an eine etwas kitschige Mittelalterstadt.

Es würde der Stadt Augsburg nicht gerecht, einen Aspekt herauszugreifen und diesen stark zu machen (auf Kosten der anderen auch interessanten Merkmale). Vor diesem Hintergrund würde es Sinn machen, eine übergreifende Geschichte zu erzählen, die verschiedene Merkmale verbindet. Aus meiner Sicht ist es für Augsburg bezeichnend, dass hier viele soziale Innovationen ihren Ausgang nahmen. Daraus könnte ein tragfähiges Profil entwickelt werden. Ich würde folgende Elemente sehen, aus denen ein wahrnehmbares Image als Stadt der Sozialen Innovation herausgearbeitet werden kann:

Fuggerei: Nachhaltig tragfähiges soziales Engagement
Man kann über die Motive der Familie Fugger diskutieren. Es gibt aber keine zwei Meinungen darüber, dass die Fuggerei so nachhaltig aufgestellt wurde, dass sie jetzt schon knapp über 500 Jahre Wohnmöglichkeiten für Menschen in Not bietet. Viele Stiftungen haben sich an der Fuggerei orientiert.

Wassermanagement als soziale Errungenschaft
Sehr früh schafften es findige Augsburger Ingenieure, mit Hilfe von Wassertürmen, Kanälen und Wasserleitungen die Versorgung der Stadtbevölkerung mit frischem Wasser zu gewährleisten. Der erste Schluck aus den neuen Leitungen war zwar dem Bischof vorbehalten, aber schnell war auch die ganze Bürgerschaft mit Wasser versorgt. Für diese Vorreiter-Rolle in der Wasserwirtschaft wurde Augsburg als Weltkulturerbe ausgezeichnet.

Religionsfrieden
Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 ist nur noch Insidern geläufig – er markierte aber einen riesigen zivilisatorischen Fortschritt, denn er beinhaltete, dass die vorher verfeindeten christlichen Konfessionen einen Weg der friedlichen Koexistenz fanden. Im 40-jährigen Krieg wurde diese Errungenschaft wieder gefährdet. Im Westfälischen Frieden wurde aber den Protestanten erneut das Recht einer freien Glaubensausübung garantiert und Augsburg wurde eine paritätische Reichsstadt. Diese besondere Innovation wird mit einem bundesweit einmaligen Feiertag am 08. August bis heute begangen. Der Tag wird aktuell zum Anlass genommen, im Rahmen eines umfangreichen Programms über Fragen der (religiösen) Toleranz zu diskutieren.

Friedrich von Hessing: Zusammenspiel von Genesung, Kultur und Arbeit
Dieser innovative Ansatz wurde später gewissermaßen nach Augsburg eingemeindet: Der 1838 geborene Friedrich Hessing war in Augsburg als Orgelbauer angemeldet und fragte bei der Stadt Augsburg zusätzlich um die Genehmigung, Prothesen herstellen und anbieten zu dürfen. Das lehnte die Stadt ab. Mit einer Genehmigung der Regierung von Schwaben siedelte er sein Unternehmen im damals eigenständigen Göggingen an. Nach eigenen Angaben behandelte er in seiner Karriere 60.000 Patient:innen, denen seine Orthesen und Prothesen eine große Hilfestellung waren. Er baute weiterhin Orgeln und verdiente durch die Behandlung von Reichen und Prominenten viel Geld. Deshalb konnte er das heute noch bestaunenswerte Kurhaus in Göggingen in Auftrag geben. Denn er war der Meinung, dass zur Genesung die medizinische Versorgung, kulturelle Anregungen und auch Arbeit notwendig seien. Deshalb konnten Patient:innen auch auf den Feldern Hessings arbeiten, mit deren Erträgen die Klinik versorgt wurde. Mit der Eingemeindung kam diese sozial-medizinisch innovative Einrichtung wieder zur Stadt Augsburg zurück. Die Stiftung betreibt inzwischen einige Kliniken, eine große Kindertagesstätte und ist auch aus der Fußballberichterstattung bekannt, denn in der chirurgischen Klinik lassen sich auch prominente Balltreter behandeln.

Bertolt Brecht: Soziale Themen in der Literatur
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Bertolt Brecht in der Arbeiterstadt Augsburg sozialisiert. Er wuchs in einer gutbürgerlichen Familie auf, die Erlebnisse des ersten Weltkriegs und späterer sozialer Unruhen prägten ihn aber und er war zeitlebens auch ein politischer Schriftsteller, der sich für soziale Gerechtigkeit engagierte.

Hilfen für Menschen mit komplexen Behinderungen
Ende der 1950er Jahre wurden Kinder mit schwereren Beeinträchtigungen eher noch versteckt und daheim gepflegt. In Augsburg bildete sich früh ein Kreis um Richard Krais und gründete den „Verein zur Förderung spastisch gelähmter Kinder, Kreis Augsburg“ und eröffnete eine Tagesstätte. Die Tagesstätte wurde 1967 von der Hessing-Stiftung übernommen. Daraus ist das wegweisende Hessing-Förderzentrum geworden. Richard Krais gab den Anstoß, dass der spätere Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte gegründet wurde und war der erste Landesvorsitzende.

Bunter Kreis
Ebenfalls aus einer Initiative ist der Bunte Kreis entstanden, der Vorreiter war in der Nachsorge bei der Geburt von schwerkranken und Kindern mit Behinderung. Die Gruppe schaffte es sogar, dass diese Nachsorge gesetzlich verankert wurde. Heute gibt es einen Bundesverband des Bunten Kreises, der seine Geschäftsstelle in Augsburg hat, der Bunte Kreis hat ein eigenes Gebäude und betreibt unter anderem einen Hof, in dem tiergestützte Therapieangebote vorgehalten werden.

Tür an Tür
Eine bundesweite Vorreiterrolle in der Betreuung von geflüchteten Menschen hat die Organisation Tür an Tür aus Augsburg übernommen. Sie schuf schon früh Wohnraum, organisierte Beratungen und entwickelte die bundesweit adaptierte App integreat, mit der sich neu in Deutschland angekommene Personen über rechtliche Fragen und kommunale Besonderheiten informieren können.

Und noch viel mehr:

  • Eine große mediale Resonanz erzeugte die „soziale Skulptur“ des Grandhotel Cosmopolis, ein Versuch, die Unterbringung von geflüchteten Menschen mit einem Hotel und einem soziokulturellen Treffpunkt zu verbinden.
  • Mehrfach ausgezeichnet wurde das Projekt der „MutMacherMenschen“, in denen Menschen mit einer psychischen Erkrankung Normalität in einem Arbeitszusammenhang aufgebaut wird.
  • Auch das Hotel einsmehr und ein Qualifizierungskonzept der einsmehr gGmbH für Menschen mit einer (kognitiven) Beeinträchtigung sorgte bundesweit für Schlagzeilen. 

 

Marke „Soziale Innovation“ – Wie könnte das aussehen?
Vorweg: Der Begriff „Soziale Innovation“ ist so wahrscheinlich noch zu sperrig und sollte weiterentwickelt werden. Es geht jetzt um eine Verständigung, was eine solche Marke leisten könnte und wie sie gelebt werden könnte.

Stadtmarketing
Die Marke könnte neue Impulse in die Vermarktung der Stadt Augsburg geben, da damit die Geschichte der Stadt anders und neu erzählt und gezeigt werden kann. Vieles kann sinnvoll miteinander verknüpft und dargestellt werden – in Stadtführungen, Workshops oder auch in Filmen und inhaltlichen Beiträgen. Dies ist auch deshalb anschlussfähig, weil auf vielen Ebenen z.B. auch auf der Bundesebene über eine Stärkung von sozialer Innovation nachgedacht und gearbeitet wird.

Workshops für die Stadtbewohner:innen
In offenen Formaten könnten Vertreter:innen von Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft heutige Notlagen identifizieren und neue Innovationen entwickeln, wie diese zu beheben sein könnten. Dabei wäre die Fakultät für Soziale Arbeit an der Hochschule Augsburg ein sinnvoller Partner. Ein weitergehender Schritt wäre die Einrichtung eines Lehrstuhls für soziale Innovation an der Hochschule.

Messe für soziale Innovation
Die bestehenden und tragfähigen Ansätze aber auch neue Ideen und entstehende Start-Ups könnten sich in einer Messe für soziale Innovation in Augsburg präsentieren. Eine solche Messe wäre von bundesweitem Interesse, da angesichts wachsender Problemlagen auch der Bedarf an neuen Lösungsansätzen steigt.

Gründungszuschuss für soziale Innovationen
Um neue soziale Innovationen zu ermöglichen, gründet die Stadt einen Fonds, über den jährlich ein Gründungskapital für neue Ansätze in Höhe von einer Million Euro ausgelobt wird. Das Geld stammt von der Stadt und von Unternehmen, die damit einen Beitrag leisten, die Stadt noch lebenswerter zu machen.

Das Potential
Eine Marke „Stadt der sozialen Innovation“ würde verschiedenes leisten: Es würde die Geschichte der Stadt verbinden mit aktuellen Potentialen und Herausforderungen der Stadtgesellschaft. Sie würde die Stadt nach außen deutlich besser und greifbarer wahrnehmbar machen als die verschiedenen austauschbaren Etiketten, hätte also enormes Potential für das Stadtmarketing.

Und eine solche Marke hätte den Vorteil, dass sie mitnichten museal verstanden werden, sondern neue Impulse in die Stadtgesellschaft bringen würde. Und angesichts der absehbaren Herausforderungen wäre sie auch deshalb hilfreich, weil sie neue Potentiale in der Stadt wecken könnte.

Deshalb: Machen!

 

Jochen Mack
Paul-Klee-Str. 26
86157 Augsburg