Dem Begriff Nachhaltigkeit die Zähne gezogen

Im Programm des Kongresses zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis wurde deutlich, dass große Player es geschafft haben, den Diskurs um Nachhaltigkeit zu verändern. Und das gilt auch für die Politik.

Über eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie
Beim Kongress zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis tummelte sich – auch in Corona-Zeiten – viel Prominenz in Düsseldorf: Der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber wird genauso ausgezeichnet wie Ursula von der Leyen und einige prominente Künstler:innen. Auch ein Kardinal aus Ghana gab sich die Ehre. Es gibt Vorträge und Diskussionsrunden mit Wirtschaftsgrößen von Unternehmen aus fast allen Sparten – von der Allianz-Stiftung über Grohe und Henkel bis zu REWE. Dagegen waren Organisationen der Zivilgesellschaft, die man auf einem solchen Kongress mindestens auch erwarten würde (wie der BUND, NABU, Misereor und andere) so gut wie nicht vertreten.

Wie ein roter Faden zog sich fast durch die komplette Veranstaltung der Gedanke, dass Nachhaltigkeit vor allem durch technologische Entwicklungen zu erreichen ist. Da wurden neue Formen der Papierherstellung präsentiert, es wurde gezeigt, an welchen innovativen Baumaterialien geforscht wird und alle Firmen waren sehr darauf bedacht zu zeigen, wie wichtig ihnen der Weg zur eigenen Klimaneutralität und zur fairen Lieferkette ist. Für mich persönlich sehr eindrücklich: In einem Hackathon ließ Nespresso ermitteln, wie die Recyclingqoute der Alu-Kapseln verbessert werden könnte. Ein Team von jungen Studierenden entwarf dazu ein Rücknahmesystem mit Rücknahmeautomaten in allen Paketannahmestellen (!).

Ein weiteres, offenbar wichtiges Thema war die „Kompensation“ von CO2-Verbrauch. Dabei werden Projekte im Globalen Süden unterstützt, mit denen CO2 gebunden wird, so dass der Verbrauch der Firma im Norden ausgeglichen wird. Viele Debatten drehten sich um die Frage, wie diese Kompensation geregelt werden könnte und wie sie seriös durchgeführt werden können.

Verzicht? Wachstumskritik? Von wegen!
Die Diskussionen hatten eines gemeinsam: Es wurde ständig suggeriert, dass es im Norden nur technologischer Anpassungen bedarf und dass geschaut werden muss, dass im Globalen Süden die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden müsse. Nur in einem „Zwischenruf“ mahnte Harald Welzer, dass sich das Verhalten im Globalen Norden ändern müsse und wir zu einer anderen – weil besseren – und verantwortungsvollen Lebensweise kommen müssten. Es gehe nicht darum, ständig „neue Dinge“ hinzuzufügen, sondern auch zu überlegen, was wir nicht mehr brauchen und wie wir unser Leben intelligenter organisieren könnten. Er stellte die Frage, ob es klug sein kann, wenn man eine Maschine mit knapp drei Tonnen braucht, um eine Person mit 80-90 Kilo von A nach B zu transportieren.

Von diesem Zwischenruf ließen sich aber nicht viele beirren, denn solche Fragen passten nicht ins Konzept der Veranstaltung, aber auch nicht der beteiligten Firmen. Denn die Hauptbotschaft sollte sein: „Liebe Konsument:innen: Sorgt euch nicht – das mit der Nachhaltigkeit regeln wir schon für euch. Ihr könnt weiterhin beruhigt viel einkaufen, wir produzieren ja inzwischen – mit Zertifikat – klimaneutral.“

Bezeichnend für die aktuelle politische Debatte
Diese Schlagseite mag der Organisation und Finanzierung des Kongresses zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis geschuldet sein. Aus meiner Sicht spiegelt sich dieses Vorgehen aber auch in der aktuellen politischen Debatte. Denn auch dort ist es offensichtlich verpönt, Einschränkungen oder Verzicht zu fordern, da das die Menschen verschrecken würde. Wie der Norden aber weniger Ressourcen verschwenden will, wenn nicht weniger konsumiert wird, bleibt ein Rätsel.

Am Beispiel der Verkehrspolitik auf den Punkt gebracht: Die neue Koalition, die in diesen Tagen starten wird, konnte sich nicht auf ein Tempolimit einigen, das das einfachste aller Instrumente zur Reduktion der CO2-Emissionen darstellt. Stattdessen wird auch hier technologischen Weiterentwicklungen der Vorzug gegeben wie der flächendeckenden Einführung von Elektrofahrzeugen. Damit wird indirekt auch legitimiert, dass Firmen wie BMW fleißig an der Entwicklung z.B. eines elektrisch angetriebenen SUVs arbeiten, der fünf Meter lang ist, 750 PS hat und über 2,5 Tonnen wiegt. Denn die Grundlogik bleibt ja gleich: Wir nutzen große und schwere Autos um von A nach B zu kommen - nur der Antrieb ändert sich.

Die Industrie hat aus meiner Sicht mit dem Thema Kompensation eine weitere Verschiebung der Debatte erreicht: Die Bezeichnung „klimaneutral“ wird verliehen, wenn der eigene CO₂-Ausstoß entsprechend reduziert oder durch die Zahlung an Kompensationsprojekte ausgeglichen wird und es so zu einer ausgeglichenen Bilanz kommt. Durch die Engführung auf den CO2-Ausstoß werden allerdings viele ökologische und auch klimawirksame Faktoren wie Flächenversiegelung, Reduzierung der Biodiversität, Wasserverbrauch oder Abbau von Ressourcen nicht berücksichtigt. Ein sicher nicht unwillkommener Effekt für die Firmen: Wächst die Firma, verbraucht sie zwar mehr Rohstoffe, kann aber ihre Kompensationsleistungen erhöhen und gilt dann trotzdem weiterhin als „klimaneutral“.

Eine erfolgreiche Strategie
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Kongress zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis sinnbildlich ist für eine erfolgreiche Strategie der großen und kleinen Firmen: Der Leitgedanke hat sich durchgesetzt, dass Nachhaltigkeit durch technische Entwicklungen und Kompensationen erreicht werden kann. Kritik an einem Wirtschaftsverständnis, das sich gegen weiteres Wachstum stellt und eine Einschränkung des Ressourcenverbrauchs im Globalen Norden verlangt, wurde an den Rand gedrängt und spielt im öffentlichen Diskurs keine Rolle mehr. Der Debatte um Nachhaltigkeit wurden alle Zähne gezogen werden, die irgendjemand hätten weh tun können.

Disclaimer: Ich war für die einsmehr gGmbH beim Nachhaltigkeitskongress, die im Finale um den next economy award war.
Disclaimer II: Der Beitrag spiegelt meine persönliche Meinung wider. Sie ist nicht Ausdruck der Einstellung der einsmehr gGmbH, für die ich arbeite.

Jochen Mack
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