Man kann es nicht mehr hören. Nach jeder Abstimmung und nach jeder Wahl wird besorgt gemahnt, dass man jetzt aber wirklich in Dialog mit den „Wütenden“ kommen und sie wieder in den politischen Diskurs einbinden müsse. Alternativ wird analysiert, dass die politische Klasse es wohl mit der „Politischen Korrektheit“ übertrieben habe. Diese neuen Rituale begannen hierzulande nach den ersten Erfolgen der AfD, setzten sich nach dem Brexit und etwa den Wahlen in den USA fort und waren auch angesichts der hohen Zustimmung für einen Rechtspopulisten in Österreich zu hören.
Wir haben kein Kommunikationsproblem
Um es kurz zu machen: Diese Deutungen führen aus meiner Sicht in die Irre. Es geht in den immer wütenderen Haltungen und Wahlentscheidungen um handfeste Interessen und nicht um Gefühle oder schlechter Kommunikation. Denn was sich bei allen zunächst unerklärlichen Abstimmungsergebnissen und teilweise absonderlichen Wahlkämpfen wie ein roter Faden durchzieht, ist die Betonung des Ego: Slogans wie z.B. „Deutschland den Deutschen“, „America first“, „let’s take back control“, … betonen jeweils, dass eigene Interessen (wieder) im Mittelpunkt stehen sollen.
Rechtspopulisten haben vor allem mit Forderungen Furore gemacht, die vermeintlich Interessen ihrer Hauptwählerschichten bedienen: Migrant/-innen, die als Konkurrenz um Arbeitsplätze wahrgenommen werden, sollten abgeschoben, Gleichberechtigung von Frauen wieder eingeschränkt und Minderheiten wieder diskriminiert werden dürfen. Bei der AfD und in Teilen der CDU wird auch schon wieder darüber diskutiert bzw. gefordert, den eh schon schleppenden Prozess der Inklusion auf Eis zu legen. Begründung ist meist, dass darunter die „normalen Kinder“ leiden würden. Mit diesen verschiedenen Facetten werden in erster Linie Gesellschaftsbilder beschworen, wie sie vor ein paar Jahrzehnten mehr oder weniger gegolten haben.
Damit wird aber vor allem auch eine egoistische Grundhaltung bedient. Es zählt nicht, wie die Gesellschaft insgesamt vorankommt, wie mehr Gerechtigkeit hergestellt werden kann oder gar, wie den Schwächeren geholfen werden kann. Es geht einzig und allein darum, den eigenen Wohlstand und die eigene gesellschaftliche Stellung zu verteidigen – gegen Flüchtlinge, gegen Muslime, gegen aufbegehrende Frauen oder andere Gruppen, die „aufmüpfig“ werden und die bisherige Verteilung von Wohlstand und Macht in Frage stellen.
Dies kann auch daran abgelesen werden, dass es keineswegs in erster Linie Abgehängte oder völlig perspektivlose Menschen sind, die für Parolen von Rechtspopulisten anfällig sind. Und dies zeigt sich aus meiner Sicht auch daran, dass in diesen Kreisen nie das derzeitige System massiver Ungleichheit und ungerechter Verteilung von Reichtum in Frage gestellt wird. Es ist also nicht so, dass völlig Verarmte mehr Gerechtigkeit fordern, sondern eine nervös gewordene Mittelschicht mehr Ungerechtigkeit und weniger Solidarität für Arme fordert. Stünden tatsächlich ausgebeutete Unterschichten im Zentrum der rechtspopulistischen Bewegungen, würden wahrscheinlich eher Forderungen im Mittelpunkt stehen, die Besitzverhältnisse in Deutschland wieder gerechter zu gestalten. Und da gäbe es ja bei Gott viel zu ändern.
Was ist also zu tun?
Wenn diese Analyse stimmt, wird es nicht reichen, die „Wutbürger“ therapeutisch an die Hand zu nehmen und „wieder in die Gesellschaft zu integrieren“. Es wird auch nichts nutzen, sich weniger „politisch korrekt“ zu verhalten, wie das auch Mely Kiyak sehr gut beschrieben hat. Aus meiner Sicht hilft nur, eine vielleicht auch harte Auseinandersetzung darüber zu führen, auf welchem Leitbild unsere Gesellschaft basiert. Wollen wir eine Gesellschaft sein, die sich an der Mehrung des Gemeinwohls orientiert oder wollen wir eine zunehmend egoistische Gesellschaft werden, in der es jedem und jeder um den eigenen Vorteil und den eigenen (vermuteten) Nutzen geht.
Und in einer solchen Auseinandersetzung müssen die Vorteile einer solidarischen Gesellschaft klar benannt werden können. Da ist es aber überhaupt nicht hilfreich, wenn Populisten wie Horst Seehofer ständig suggerieren, dass der deutsche Staat mit einer größeren Zahl von ankommenden Flüchtlingen bereits überfordert ist. Denn unter anderem dadurch werden Reflexe ausgelöst, das Eigene und das eigene Weltbild gegen die Bedrohung von außen zu verteidigen.
Wir brauchen vielmehr eine positive Perspektive und klare Schritte, wie wir zu mehr Gerechtigkeit und zu mehr Solidarität kommen können. Pathetischer formuliert: Die Anständigen müssen aufstehen, da kann ich mich nur der Forderung von Christian Streich anschließen.
Das ist das Gebot der Stunde!