Flüchtlinge in Augsburg

Eine Zeit lang schien es so, als wären alle Kommunen komplett mit der Versorgung von geflüchteten Menschen überfordert. Aber wie sieht es konkret aus in Augsburg? Wie ist die Lage und was ist zu tun?

Worüber reden wir eigentlich? – Ein Gespräch über geflüchtete Menschen in Augsburg

Nach dem „Heizungshammer“ und vor den Debatten um Bürgergeld und Subventionen für die Landwirtschaft schien es in Deutschland für einige Wochen nur ein Thema zu geben: Die Überforderung der Kommunen durch eine sogenannte „irreguläre Migration“. Wie sieht das konkret hier in Augsburg aus? Ich fragte einen, der es wissen muss: Matthias Schopf-Emrich, der jahrzehntelang in der Beratung und politischen Unterstützung von geflüchteten Menschen tätig war.

Die globale Lage

Man muss davon ausgehen, dass auf der Welt über 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Davon sind ca. 60% in ihren Herkunftsländern als Binnenflüchtlinge unterwegs. Von den anderen 40 Millionen bleiben 80% in der jeweiligen Region, ca. 20% kommen nach Europa. Viele Menschen sind in Syrien, der Türkei, im Irak, im Libanon oder in Pakistan gestrandet. Dort gibt es Flüchtlingslager mit mehreren hunderttausend Bewohner:innen. Aktuell droht die Situation zum Beispiel in Pakistan zu kippen. Dorthin sind sehr viele Menschen aus Afghanistan geflohen, was zu Unruhen geführt hat, sodass viele Afghanen aktuell Pakistan wieder verlassen müssen.

Und hier in Augsburg?

In Augsburg wohnen insgesamt knapp über 300.000 Menschen. Aktuell sind 8.200 geflüchtete Menschen in der Stadt. Etwas mehr als die Hälfte davon sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die anderen kommen hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei.

Die Flüchtlinge aus der Ukraine wurden von Beginn an anders behandelt: Sie waren mobiler und freier in der Wahl des Wohnorts und bezogen von Anfang an Bürgergeld. Geflüchtete aus anderen Ländern wie Afghanistan, Syrien oder der Türkei können erst nach ihrer Anerkennung Leistungen aus dem Bürgergeld beziehen, bis dahin werden sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgt. Da aus der Ukraine viele hochqualifizierte Menschen gekommen sind, erscheint es sinnvoll, dass sie zuerst die Sprache erlernen und dann ins Berufsleben einsteigen und nicht direkt in den Niedriglohnsektor vermittelt werden. Aktuell geben ca. 40% der Menschen aus der Ukraine an, hierbleiben zu wollen. Erfahrungsgemäß steigt diese Quote aber deutlich, wenn ein Krieg drei Jahre und länger dauert und eine Rückkehr immer unwahrscheinlicher wird.

Bis zum Abschluss des Anerkennungsverfahrens müssen Flüchtlinge in Sammelunterkünften leben (davon waren die Menschen aus der Ukraine ausgenommen). Aktuell könnten rein rechtlich ca. 1.200 bis 1.500 anerkannte Flüchtlinge sofort in private Wohnungen umziehen – sie finden aber keine Wohnung und stehen am Ende der Reihe derer, die auf eine Sozialwohnung hoffen (ein Problem, das auch andere Einrichtungen wie Frauenhäuser haben).

Aufgrund der langfristig angelegten und eng mit Trägern der Flüchtlingshilfe abgestimmten Politik sind die Regierung von Schwaben und die Stadt Augsburg aus Sicht von Matthias Schopf-Emrich zu loben. Es gibt keine Unterkunft, in der mehr als 100 Personen wohnen und die Betreuung ist gewährleistet, auch wenn die Stadt ihre Aufnahmeverpflichtungen übererfüllt (anders als andere Landkreise in der Region).

Große Herausforderung: Bürokratie
Geflüchtete Menschen müssen viele bürokratische Hürden überwinden. Es müssen neben dem Asylverfahren aufwendige Anträge für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder im Jobcenter ausgefüllt werden, es muss eine Krankenkasse gefunden werden usw. Auch wenn es in Städten wie in Augsburg viele Formulare auch in anderen Sprachen gibt, ist es für Zugezogene (und sogar Einheimische) oft schwierig zu erfassen, was jeweils angegeben und vor allem, warum die gleichen Daten schon wieder zu liefern sind. Viele Anträge sind so kompliziert und aufwändig, dass sie nur mit haupt- oder ehrenamtlicher Unterstützung ausgefüllt werden können.

Schwierigkeit mit Ausbildung

Viele junge geflüchtete Menschen kommen mit der Organisation der Berufsausbildung nicht zurecht. Sind die Inhalte in den Betrieben zu bewältigen, scheitern viele an der Berufsschule. Diese ist schwer zu schaffen mit schlechten Deutschkenntnissen und Lücken in der „Allgemeinbildung“. Zudem werden dort zunehmend auch viele sehr abstrakte Inhalte vermittelt, die auch für junge Menschen herausfordernd sind, die hier geboren wurden und eine reguläre Schulausbildung absolviert haben. Dies führt bei jungen Geflüchteten zu großen Frustrationserlebnissen und erschwert massiv die Integration. Dass sich daran in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels nichts ändern lässt, ist sehr erstaunlich. Es bräuchte viele neue Zugänge und erfolgsversprechende Einstiege in berufliche Qualifizierungen! Vorbild könnte das ein- bis zweijährige Ausbildungsangebote für Helfer:innenberufe sein wie das bei der Ausbildung zur Pflegehilfe schon erfolgreich praktiziert wird.

Wohnungsmangel

Auch und gerade in Zeiten, in denen die Bautätigkeiten massiv zurückgehen, muss die öffentliche Hand den sozialen Wohnungsbau massiv forcieren. Denn je schneller die Menschen aus Sammelunterkünften in eigene vier Wände umziehen können, desto schneller kann die Integration funktionieren. Und könnten die Sammelunterkünfte entlastet werden, wäre dort das Leben einfacher und die Kommunen wären auch besser vorbereitet, sollten wieder mehr Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen hierher fliehen müssen. Nachdem sich im sozialen Wohnungsbau kurzfristig wenig ändern wird, bedürfte es Innerhalb des Systems der staatlichen Unterbringung für Menschen, die schon länger hier leben, nach einer festzulegende Zeit der Zugang zu Unterkünften mit verbindlichen Mindeststandards. 

Jetzt handeln!
Angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in Nahost und der Ukraine, den vielen instabilen Situationen in afrikanischen Staaten sowie den sich verschärfenden Folgen des Klimawandels ist davon auszugehen, dass sich auch mehr Menschen in Richtung Europa aufmachen werden. Es ist klar, dass auch Deutschland einen Beitrag zur Versorgung der geflüchteten Menschen zu leisten haben wird.  Deshalb muss Politik gerade jetzt handeln in Zeiten, in denen sich weniger Personen auf den Weg machen. Neben der Vorbereitung von Wohngelegenheiten müssen auch strukturelle Weichen gestellt werden, damit zugewanderte Menschen schneller Anschluss am öffentlichen und beruflichen Alltag in Deutschland finden. Und die hiesige Gesellschaft sollte sich mehr mit den Gründen auseinandersetzen, die Menschen dazu bewegen, sich auf eine lange und meist gefährliche Flucht ins Ungewisse zu begeben.

Zur Person:

Matthias Schopf-Emrich arbeitete ca. 30 Jahre lang in der Migrationsberatung der Diakonie Augsburg und war fast genauso lang ehrenamtlich im Vorstand des Vereins Tür an Tür e.V., der ein zentraler Akteur in der Arbeit mit Flüchtlingen in Deutschland ist.

Weitere Informationen zur Arbeit mit und für geflüchtete Menschen in Augsburg: www.tuerantuer.de

Der Austausch fand statt im Rahmen der Westhousetalks, einer unregelmäßig stattfindenden Veranstaltung im Begegnungszentrum Westhouse.

Jochen Mack
Paul-Klee-Str. 26
86157 Augsburg