Warum es Projekte wie das Inklusionshotel braucht

Inklusion wird von Vielen gefordert, kommt aber nicht so richtig voran. Das hängt auch mit der politischen Vorgeschichte zusammen!

Der Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention, die am 26.03. in Deutschland in Kraft getreten ist, ist gewaltig. Zusammengefasst: Alle Bereiche des öffentlichen Lebens müssen so gestaltet werden, dass alle Menschen daran teilnehmen können. Es geht also nicht darum, Menschen mit Behinderung besser „zu integrieren“, sondern es geht darum, eine Gesellschaft ohne Hürden zu entwickeln und aufzubauen.

Ein denkbar schlechter Start
Nachdem die UN die Konvention im Jahr 2007 auf den Weg brachte, musste der Deutsche Bundestag Ende 2008 entscheiden, ob Deutschland der Konvention beitritt oder nicht. Angesichts des fundamentalen und umwälzenden Anspruchs der Vorlage würde man monatelange intensive Diskussionen zu solchen und ähnlichen Fragen erwarten: „Ist das leistbar? Was hätte eine Ratifizierung für Konsequenzen? Was wird es kosten? Wo sind die Möglichkeiten und wo die Grenzen staatlichen Handelns?“

Stattdessen fand der Beschluss im Bundestag am 03.12.2008 nach 22.00 Uhr als TOP 23 in zweiter Lesung vor fast leeren Rängen statt. Einige Änderungsanträge wurden ohne Debatte abgelehnt, im Protokoll der Sitzung füllt der Vorgang keine ganze Seite (hier zum Link Seite 20855A). Auch im Bundesrat wurde die Konvention ohne Debatte und so gut wie ohne mediale Resonanz angenommen. Deshalb ist sie seit März 2009 in Kraft.

Dieser parlamentarische Start zeigt aus meiner Sicht das Grunddilemma der Diskussion auf: In der Konvention wurde auf globaler Ebene ein grundlegender Wandel unseres Gesellschaftssystems beschlossen. Die Tragweite dieser Beschlüsse wurde aber nicht angemessen gesamtgesellschaftlich begriffen und diskutiert. Geschweige denn akzeptiert und positiv befürwortet – wie dies für einen epochalen Wandel nötig wäre.

So gibt es heute zwar ein verbrieftes Recht und eine moralische Pflicht für Politik und Verwaltung auf allen Ebenen, sich für inklusive Strukturen zu engagieren. Es gibt aber keine demokratisch vorbereitete gesamtgesellschaftliche Übereinkunft, dass das auch gewollt ist. Dies führt dazu, dass sich „Aktivist/-innen“ zurecht auf das „Menschenrecht“ auf Inklusion berufen aber zunehmend frustriert sind, weil sich zu wenig in die gewünschte Richtung bewegt und Politik sich an symbolische Maßnahmen abarbeitet. Und Inklusion eben nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert wird, die alle angeht.

Beispiel Arbeitsmarkt
In Artikel 27 der UN-Konvention werden weitgehende Zusagen für die Umgestaltung des Arbeitsmarkts gemacht: „Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.“ (zitiert nach: Behindertenrechtskonvention)

Menschen mit einer Behinderung haben also ein Recht auf eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das Problem dabei ist: Der Staat ist hier nur ein Akteur von vielen. Er kann für die Privatwirtschaft lediglich Diskriminierung von Menschen mit Behinderung verbieten und sanktionieren und er kann Anreize schaffen, Menschen mit Handicap einzustellen. Er kann aber vor allem in einem kapitalistischen System nicht vorschreiben, wen eine Firma einzustellen hat. Bis heute wird nicht einmal ernsthaft eine Umgestaltung der Werkstätten für Menschen mit Behinderung diskutiert. Die UN und die Deutsche Monitoringstelle mahnten an, die Werkstätten stärker in Richtung des Allgemeinen Arbeitsmarkts zu rücken und hinterfragten die Arbeitsweisen und Ziele von Werkstätten. 

Recht haben – es aber nicht bekommen
Aus der beschriebenen Genese der Diskussion um eine inklusive Gesellschaft ist die Frontstellung verständlich: Mit der Annahme der Behindertenrechtskonvention gab die Bundesrepublik Deutschland ein Versprechen ab, dessen Tragweite sich nur wenige politische Akteure bewusst waren. Gesamtgesellschaftlich ist nach wie vor nicht ausgemacht, ob es für eine weitreichende Umsetzung überhaupt einen Konsens gibt. Deshalb sind die zugesagten Rechte nicht einklagbar.

Was ist jetzt zu tun?
Die Zeit seit 2008 hat gezeigt, dass ein Top-down-Prozess sehr limitiert ist, vor allem wenn er nicht gesamtgesellschaftlich eingebettet ist. Deshalb muss ergänzend ein Bottom-up-Prozess aus der Mitte der Gesellschaft gestartet werden. Wenn in vielen kleinen und großen Initiativen gezeigt wird, dass alle in der Gesellschaft von inklusiven Strukturen profitieren, kann und muss die politische Diskussion wieder Fahrt aufnehmen. Und dann wird es eines Tages auch ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein und hoffentlich eine Übereinkunft für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft geben. Erst dann werden auch flächendeckend Maßnahmen ergriffen werden, die über symbolische Gesten für Menschen mit Behinderung hinausgehen.

Weiterführende Literatur zum Thema Recht auf Arbeit

Disclaimer: Dieser Text wurde zuerst auf dem Blog der Seite www.hotel-einsmehr.de veröffentlicht.

Jochen Mack
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